Was wäre eigentlich gegen Erschließungsbeiträge für Straßen einzuwenden?
Im Grundsatz erst einmal gar nichts!
Verstehen Sie es nicht falsch: Die Erhebung von Erschließungsbeiträgen ist durchaus angebracht – allerdings nur dort, wo z. B. eine Baumaßnahme für Straßenanlieger auch tatsächlich einen Vorteil bringt. Von elementarer Bedeutung ist hierbei, dass zwei völlig unterschiedliche Szenarien unterschieden werden müssen:
A. Erschließung neuer Bauflächen
Wie der Begriff Erschließungsbeitrag schon besagt, soll einen Beitrag leisten derjenige, für den eine bisher nicht erschlossene Fläche erstmalig erschlossen wird.
Was bedeutet das?
Erschließen umschreiben der Duden und andere Synonymwörterbücher u. a. mit zugänglich, urbar, begehbar, nutzbar machen; zur Nutzung geeignet machen; besiedeln; urbanisieren. Nur das ist es, wofür das Erschließungsbeitragsrecht schon vor vielen Jahrzehnten geschaffen wurde. Erschließung erfüllt die Aufgabe, eine bisher noch nicht gegebene Inanspruchnahmemöglichkeit erstmals zu eröffnen; und nach dem Wortsinn kann es folglich bei Erschließung niemals um Unterhaltung, Reparatur oder Modernisierung eines längst vorhandenen Straßenbestandes gehen.
Was folgt daraus für die Erschließung neuer Wohngebiete?
Wer im Neubaugebiet auf der vormals grünen Wiese ein Eigenheim errichten will, kann nicht erwarten, dass ihm die Gemeinde eine Straße zur Anlieferung seines Baumaterials und alle zugehörigen Infrastruktureinrichtungen (Abwasserkanal, Straßenentwässerung, Wasser-, Strom-, Gas- und Kommunikationsanschluss) sowie die Straßenbeleuchtung kostenlos bereitstellt. Ohne die gemeindliche Leistung müsste er sie (ggf. zusammen mit seinen Nachbarn) ja auch erstellen – auf eigene Kosten. Indem er diese Mittel nicht aufbringen muss, sondern die Gemeinde dies für ihn erledigt, erwächst ihm ein echter Erschließungsvorteil. Es ist völlig legitim, für den mit dieser erstmaligen Inanspruchnahmemöglichkeit verbundenen tatsächlich gewährten Vorteil auch einen Beitrag zu erheben.
Aber: Der Bauwillige kennt von vornherein die Spielregeln. Er kann sich völlig autonom für oder gegen dieses finanzielle Opfer entscheiden, denn er muss ja nicht auf die bisher grüne Wiese bauen. Wenn er freiwillig darauf verzichtet, entsteht auch keine Beitragspflicht.
B. Nachträgliche Sanierung alter Bestandsstraßen
Ganz anders verhält es sich hingegen mit Bestandsstraßen: Steht deren Sanierung an, wird ihre Inanspruchnahme gerade nicht erstmals ermöglicht. Vielmehr waren sie oft seit vielen Jahrzehnten, manchmal schon seit weit über 100 Jahren in Betrieb. Nach so langer Zeit rechnet niemand mehr damit, dass „seine“ Straße noch nicht förmlich erschlossen worden sein könnte. Meist sind Straßenanlieger völlig entsetzt, wenn die Gemeinde ihnen plötzlich einen Erschließungsbeitragsbescheid zustellt. Sie werden unversehens mit einer Zahlungspflicht in Höhe eines meist fünfstelligen Euro-Betrages konfrontiert, die sie binnen eines Monats erfüllen sollen.
Oft sind nichtsahnende Erwerber eines älteren Hauses an der sanierungsbedürftigen Straße oder solche Eigentümer betroffen, die dort schon seit Jahrzehnten wohnen.
All diesen Fällen ist – anders als bei Neubaugebieten – gemeinsam: Mit der Sanierung alter Straßen wird nichts im Wortsinn „erschlossen“.
Entscheidend ist jedoch: Die Beitragserhebung erfolgt hier weder auf Initiative eines Bauwilligen noch auch nur im Entferntesten freiwillig; sie wird mit Verwaltungszwang durchgesetzt. Die Kommune erlässt einen Beitragsbescheid, den der Grundstückseigentümer – auch wenn er Widerspruch dagegen einlegt – zunächst einmal zu bezahlen hat.
Das Problem:
Beide so völlig unvergleichlichen Szenarien behandelt des Erschließungsbeitragsrecht in Baden Württemberg im Ausgangspunkt völlig gleich:
Auf der einen Seite die komplette Neuanlage einer Straße und auf der anderen Seite eine Baumaßnahme an einer Straße, die es schon längst gibt.
Warum nur Baden-Württemberg?
In inzwischen vielen Bundesländern erhebt sich immer größerer, teilweise erbitterter Widerstand gegen die dort (zusätzlich neben den Erschließungsbeiträgen) eingeführten Straßen(aus)baubeiträge. Die Proteste äußern sich auch in öffentlichen Demonstrationen. In einigen Bundesländern wurden die dortigen Straßenausbaubeiträge infolgedessen entweder ganz abgeschafft oder ihre Erhebung wurde ins Ermessen der Kommunen gestellt.
Baden-Württemberg wird dagegen in der öffentlichen Wahrnehmung, insbesondere von den Medien fälschlicherweise als „Insel der Glückseligen“ gesehen, weil hier neben den Erschließungsbeiträgen keine zusätzlichen Straßen(aus)baubeiträge erhoben werden.
Zu Unrecht: In Wirklichkeit wird in Baden-Württemberg das Erschließungsbeitragsrecht de facto ebenfalls (fast) wie ein Straßen(aus)baubeitragsrecht gehandhabt, indem es nicht nur auf echte Ersterschließungen, sondern ebenso auch auf Sanierungen bestehender Straßen angewendet wird, wofür es jedoch niemals konzipiert wurde.
Während Straßenausbaubeiträge in anderen Bundesländern „nur“ in einer Größen-
ordnung von 30 % bis i.d.R. maximal 75 % der Sanierungskosten bemessen werden, können die Gemeinden in Baden-Württemberg per Erschließungsbeitragsrecht bis zu 95 % der Kosten (allerdings nur einmal) einfordern.
Die Formel „Erstmalige endgültige Herstellung“
Gemäß gesetzlicher Regelung erheben die Gemeinden von Anliegern Erschließungsbeiträge für die erstmalige endgültige Herstellung von Ortsstraßen. Nur Baumaßnahmen, die dieses Merkmal erfüllen, können ihnen den Weg zur Refinanzierung ihrer Baukosten durch Erschließungsbeiträge eröffnen. Dementsprechend ist – für die Anlieger völlig überraschend – häufig plötzlich davon die Rede, dass eine unter Umständen schon vor vielen Jahrzehnten aus Sicht der Anwohner tatsächlich fertiggestellte Straße von Anfang an nur als ein Provisorium, niemals aber als endgültiges Bauwerk fertiggestellt worden sei.
Hiernach kann eine Straße 190 Jahre lang in Betrieb gewesen sein, also aus einer Zeit stammen, als sogar die Eisenbahn in Deutschland noch unbekannt war, und trotzdem noch als „nicht endgültig hergestellt“ gelten. Selbst Eigentümer von an sehr alten Straßen liegenden Grundstücken können daher bis heute nicht sicher davon ausgehen, von einer Beitragserhebung verschont zu bleiben.
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat bereits im März 2013 eine zeitlich unbegrenzte Erhebung von Beiträgen (wozu auch Erschließungsbeiträge gehören) als rechtsstaatswidrig und damit verfassungswidrig beanstandet.
Weil eine unbegrenzte Möglichkeit der Erhebung gegen das Gebot der Rechtssicherheit verstößt, hat es bestimmt, dass Erschließungsbeiträge nicht zeitlich unbefristet erhoben werden dürfen. Denn je länger dieser Zeitraum sich erstreckt, desto mehr verflüchtigt sich auch die Legitimation zur Beitragserhebung.
Bürgerinnen und Bürger müssen, so das Bundesverfassungsgericht, in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen können, ob und in welchem Umfang sie voraussichtlich noch zu Beiträgen herangezogen werden. Sie müssen darauf vertrauen dürfen, nach Verstreichen eines längeren Zeitraums nicht mehr mit einer solchen Geldforderung überzogen zu werden.
RA Mascha hat noch keine einzige Gemeinde erlebt, die betroffene Straßenanlieger von sich aus über diese elementare, für Anlieger günstige Rechtsentwicklung in Kenntnis gesetzt hat. Allein dies zwingt schon dazu, den Rechtsweg zu beschreiten.